Christian Broecking:
Black Codes


Verbrecher Verlag 2005

131 Seiten; Auflage: 1 (14.Oktober 2005)

ISBN: 978-3935843607


Quelle ersten Ranges

Christian Broeckings Interviewband „Black Codes” versammelt politische Gespräche mit berühmten schwarzen US-Jazzmusikern

von Jan Süselbeck

Um die gesellschaftliche Anerkennung der afroamerikanische Jazz-Kultur war es in den USA nie besonders gut bestellt. Der weiße Rassismus im Musikbusiness, der die schwarzen Musiker in die Rolle bloßer Unterhaltungsclowns mit Rhythmusgefühl zu drängen versuchte, machte innovativen Instrumentalisten immer wieder zu schaffen. Vor allem aber brachte er sie um ihr wohlverdientes Geld.

„Als ich das erste Mal nach New York kam, empfahlen mir alte schwarze Jazzer, bloß keine weißen Musiker für meine Band zu mieten. Warum sollte ich das nicht tun? Weil der Weiße alles imitieren und nach einer Reihe von Jahren damit reich und berühmt wird, während ich arm bleiben werde. Das erzählten sie mir, weil es ihnen so gegangen war. Sie wollten mir einen Gefallen damit tun”, berichtet der berühmte Altsaxofonist Steve Coleman, einer der Protagonisten des afroamerikanischen Independent-Jazz der späten 80er Jahre.
Das Zitat ist eines der Motti in Christian Broeckings zweitem Interviewbuch „Black Codes”. Wie auch schon der im Handumdrehen vergriffene erste Band “Respekt!” (2004) versammelt die Publikation Gespräche mit namhaften US-amerikanischen JazzmusikerInnen, die sich um die Geschichte und die Probleme der Black Community in den Staaten drehen. Das Grundübel sei das One-Way-Ticket in die Sklaverei gewesen, resümiert die Dichterin Jayne Cortez in Broeckings aktuellem Buch. „Jeder von uns ist auf der Suche, da raus zu kommen, bis heute”.

Die „Black Codes” waren jene Südstaatengesetze, „die die nach dem Ende der Sklaverei freigesetzten Arbeitskräfte reglementieren sollten”, erläutert Broecking in einer Nachbemerkung. „In diesen Gesetzen wurde festgelegt, wie die vier Millionen ehemaligen Sklaven kontrolliert werden sollten, damit sie weiterhin auf den Plantagen arbeiteten. […] Freedpeople hatten keine legale Möglichkeit, sich gegen die Misshandlungen durch den Ku Klux Klan zu wehren”. Der Terminus „Black Codes” gibt damit ein Generalthema für Broeckings Interviewsammlung vor. Der Titel lässt sich also wie eine historische Erläuterung zu der Forderung des ersten Buchtitels lesen: „Respekt!”

Um den müssen schwarze Musiker in der Ära Bush nämlich augenscheinlich wieder mehr kämpfen, als in den Jahrzehnten zuvor. Mehr noch: Fast hat es den Anschein, als kehrten jene „Black Codes”, die in ihrer segregierenden Intention in den USA nie wirklich vollkommen überwunden worden sind, mittlerweile mit großer Macht zurück – wenn auch in zeitbedingt veränderter Form.

Bei seiner Marburger Lesung im Juni 2006 erzählte Broecking von einer soeben abgeschlossenen New-York-Reise, auf der er Interviews für den bereits für 2007 geplanten dritten Band seiner im Verbrecher Verlag erscheinenden Interview-Trilogie gemacht hatte: „Free Thing”. Ein altes Problem sei, dass der Jazz schon seit den 60er-Jahren im Zuge seiner avantgardistischen Entwicklung auch sein schwarzes Publikum sukzessive verloren habe. Heute seien innovative Performances, wie sie viele der von ihm interviewten gesellschaftskritischen Musiker geprägt hätten, in den USA „weitgehend aus dem öffentlichen Raum verbannt”. Stattdessen beherrsche der weiße „Mainstream- und Fahrstuhljazz” die Medienwelt mehr denn je.
“Der 11. September hat mein Leben insofern verändert, als das alles schwieriger geworden ist”, erzählt Wynton Marsalis. Der künstlerische Leiter der Jazz-Abteilung des New Yorker Hochkulturzentrums Lincoln Center For The Performing Arts (Jazz At Lincoln Center/JALC) ist eine der in der Black Community durchaus nicht unumstrittenen Stars, die in Broeckings Buch zur Wort kommen. „Es ist schwerer geworden, auf Tour zu gehen”, konstatiert Marsalis. „In Europa haben die antiamerikanischen Ressentiments zugenommen, und die Menschen in den USA sind zunehmend Opfer von Propaganda geworden.”

Marsalis gehört als Guru des neokonservativen schwarzen Jazz zwar zu den wenigen Persönlichkeiten, die es im Business zu einer weitreichenden Machtposition gebracht haben, verfügt er mit seiner Institution doch über erhebliche finanzielle Mittel. Aber auch er betont: „Ich habe es als Kind erlebt, wie es ist, als Nigger beschimpft zu werden – dafür gibt es keine Löschtaste. Es ist bestimmt ein Zeichen von Fortschritt, dass ich diese Position am Lincoln Center habe, aber damit ist das Problem mit dem Rassismus leider nicht erledigt. Es geht ja nicht darum, dass ein Redneck heute einen Brief schreibt, in dem er mich beschimpft – der Rassismus, den ich erfahre, läuft viel subtiler”.

Broeckings Interviews zeichnen sich durch eine überdurchschnittlich hohe journalistische Sachkenntnis aus. „Es gehört nicht nur Erfahrung, sondern auch etwas Glück dazu, die Musiker im richtigen Moment dazu zu bringen, über solche Probleme zu reden und von der üblichen, ewig gleichen Musikinterviewdramaturgie abzuweichen”, verriet Broecking im Marburger Publikumsgespräch.

Auch von seinem aktuellen Band ist jedenfalls anzunehmen, dass er sein interessiertes Publikum finden wird. Ist es Broecking doch auch hier wieder gelungen, MusikerInnen und intellektuelle Szene-WortführerInnen wie Cassandra Wilson, Shirley Horn, Stanley Crouch oder auch Amiri Baraka bemerkenswerte politische Statements zu entlocken, die schon jetzt den Charakter einer Standardquelle gleichermaßen für Jazzinteressierte wie für Musikjournalisten angenommen hat.
Von Marsalis’ zitierter Position bis hin zu Barakas zu Recht scharf kritisierter verschwörungstheoretischer 9/11-Paranoia, wie sie in seinem Gedicht “Somebody Blew Up America” laut wird und gängige antizionistische Spekulationen über die Rolle der Israelis beim Einsturz des World Trade Centers tradiert, stellt Broeckings Gesprächssammlung ein aufschlussreiches Meinungspanorama vor. In Zukunft wird man an diesem Band genauso wenig vorbeikommen, wie an dem hoffentlich bald wieder aufgelegten Erstling “Respekt!” und dem im nächsten Jahr folgenden dritten Interviewbuch „Free Thing”.
Zumindest, wenn man sich mit den tieferen Hintergründen des schwarzen amerikanischen Jazz um die Jahrtausendwende beschäftigen will. Dies nicht zuletzt, weil zwei Stimmen, die Broecking hier noch einmal zum Sprechen gebracht hat, bereits für immer verstummt sind: Shirley Horn und Oscar Brown Jr., die in dem Band zu Wort kommen, sind im Jahr 2005 verstorben.

Quelle: http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=9692&ausgabe=200608
(Abdruck mit freundlicher Genehmigung)

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