Grimes_Titel

Mark Lehmstedt:
Art Tatum – Eine Biographie

 

Lehmstedt Verlag,
Leipzig 2009

319 Seiten

ISBN: 978-3-937146-80-5

 

Über Art Tatum ist viel geschrieben worden. Es existiert eine umfassende Diskographie (von Arnold Laubich & Ray Spencer, 1982) und eine Biographie (von James Lester, 1994), außerdem eine Dissertation, die seine frühe Zeit in Toledo untersucht (von Imelda Hunt, 1995). Nun legt ausgerechnet ein deutscher Autor eine umfassende Tatum-Biographie vor, für die er in Archiven gestöbert und alles an Informationen über den Pianisten zusammengeklaubt hat, was er finden konnte. Herausgekommen ist ein überaus lesenswertes Buch, die Lebensgeschichte eines Mannes, der in eine Mittelklassefamilie geboren wurde, mit nur geringster Sehkraft durchs Leben kam und seit den frühen 1930er Jahren zu den bewundertsten Pianisten des Jazz gehörte. “Ich spiele nur Klavier”, soll Fats Waller einmal gesagt haben, als Art Tatum einen Club betrat, in dem er spielte, “aber heute ist Gott im Raum.” Lehmstedt nimmt die veröffentlichten Biographien zum Ausgangspunkt und baut auf ihnen auf, verflicht die Informationen, die er über Tatum erhält, mit denen über andere Musiker oder über soziale oder Lebensumstände der Zeit. Er durchsetzt die Geschichte vor allem stark mit Zeitzeugenberichten, Ausschnitten aus Interviews mit Tatum oder anderen Musikern und muss sich damit nur selten mit eigenen Mutmaßungen begnügen. Er beschreibt den Ruhm, den Tatum als Solist hatte, und zwar nicht nur in der Welt des Jazz, er schreibt über das schlagzeuglose Klaviertrio, das Tatum zwar nicht erfunden, aber ganz sicher besonders bekannt gemacht hatte, über Konzerte in Kaschemmen, mondänen Nightclubs und auf großen Konzertbühnen, über Jam Sessions mit Kollegen, seine Plattenaufnahmen für Norman Granz und über die unendliche Bewunderung, die Tatum, von Musikern aus allen Stilbereichen des Jazz, aber auch aus der Klassik und von anderswo entgegengebracht wurde. Lehmstedt gelingt es, all diese Puzzleteilchen seiner Recherche zu einen spannend zu lesenden Text zusammenzufügen, in dem seine eigene Bewunderung durchscheint ohne zu dominieren. Die Musik kommt bei alledem manchmal etwas kurz: Lehmstedt ist kein Musikschriftsteller, dem es gelingen könnte, die Musik mit Worten zum Klingen zu bringen. Seine musikalischen Einlassungen lassen es meist beim oft-gelesenen Klischeehaften, ohne tiefer in die Musik einzudringen, ohne zu hinterfragen, was genau an Tatums Tastenvirtuosität so fesselnd ist. Er muss sich auf Kollegen stützen, um dies zu tun, aber dafür hat er genügend — und zwar genügend gute — Schriftsteller, die er zitieren kann. Diese Tatsache ist also keineswegs als Kritik zu werten, und eigentlich fehlt die musikalische Einlassung auch nicht wirklich, denn das Buch heißt nun mal “Eine Biographie”, und es ist am besten mit einer Tatum CD (oder zwei oder drei) zu lesen. Und anzuschauen: Viele Fotos nämlich sind auch dabei, wunderbar reproduziert und oft genug großformatig abgedruckt. Am Ende finden sich eine Diskographie sowie eine ausführliche Literaturliste und ein Personenindex. Das ganze ist eindeutig eine “labor of love”, daneben eine Fleißarbeit und schließlich eine spannende Lektüre für jeden, der dem Klaviergott des Jazz näher kommen will.

Quelle:
Rezension von Wolfram Knauer (http://www.jazzinstitut.de/de.htm)
(Abdruck mit freundlicher Genehmigung)

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